#womeninmalefields – Trend oder bitter nötig?
Ich bin wütend. Stinkwütend.
Ein neuer Trend macht auf Social Media die Runde. „#womeninmalefields“ ist aber nicht allein das – ein Trend.
Wer sich die bittere Realität unter dem aus Amerika herübergeschwappten Hashtag durchliest, trifft auf Erzählungen unzähliger weiblich gelesener Personen, die nicht nur durch einen spitzfindigen und rhetorisch absolut gelungenen Rollentausch ihrem Unmut Luft machen, sondern dadurch auch mutig über Traumata sprechen. Traumata, die sonst oft nur im Verborgenen behandelt, und die höchstens mal psychologisch versorgt werden. Alleine. Im Stillen. Denn man kann das ja nicht einfach jemandem da draußen vor den Latz knallen. Oder? Was würden denn da alle denken?!
Ja, was würden da alle denken?
Zeitschriften wie die Glamour zum Beispiel anscheinend nicht so viel.
Der Trend schieße „knapp am Ziel vorbei“ feministische Gesellschaftskritik zu üben, heißt es zum Beispiel im Artikel vom 22. November.
Wer sich die Mühe macht, das glorreiche Werk ganz zu lesen, und da sind ja die meisten Klatschpressekonsument:innen schon raus, erfährt, dass die beiden Autorinnen sehr wohl auf unserer Seite sind, aber dennoch nicht zufrieden.
Klar. Wir sind ja auch Frauen. Wir leisten ja nie genug. Du kannst als Frau ein Pferd über die Straße tragen, und jemand kommt aus der Ecke und ruft: „Streng dich mehr an!“
Und das ist die pure Aufrechterhaltung patriachaler Strukturen.
Im Artikel ist die Rede von einer großen Revolution, die ausbleibt, und dass der Hashtag nur innerhalb einer gewissen Bubble ankommt.
Ich maße mir mal vorsichtig eine Übersetzung dessen an, was dadurch in vielen Hirnen ankommt: „Linksgrünversiffte, woke, männerhassende Feministinnen drehen ergebnislos durch.“
Was gut gemeint ist, spielt also den Kritikern in die Hände, und macht mit einem Artikel mehr kaputt, als wir mit rund einer Million Posts reparieren könnten.
Wer Infos tatsächlich nur aus BILD und Co. bezieht, liest eine Überschrift, und kann sich dann am Stammtisch bei einem Feierabendbierchen aufregen. Höhö.
Absicht? Ich hoffe nicht. Aber undurchdacht bis schädlich.
Das Schlimmste daran? Die Autorinnen sind Frauen.
Auf die Kritiken von Männern zu #womeninmalefields gehe ich ja gar nicht erst ein. Die liegen wohl größtenteils auf der Hand. Das gehört in die Sparte: „Männliche Fragilität mit Tastatur verfasst Buchstabensuppe“.
Aber sollten wir weiblich gelesenen Personen nicht jetzt erstrecht zusammenhalten? Damit vielleicht, irgendwann mal, die „große Revolution“ stattfindet?
Es mag den Ein- oder anderen überraschen, aber in der Geschichte der Menschheit hat sich noch nie jemand hingestellt und einfach ohne jegliche Vorarbeit laut „Revolution!“ gebrüllt.
Also, schon. Der wurde dann aber erschossen.
Thema Einführung des Frauenwahlrechts zum Beispiel. Von 1906 in Finnland, über 1919 in Deutschland, und 1984 (!) in Liechtenstein.
Das ist übrigens mein Geburtsjahr.
„Alles Liebe zum Geburtstag, Sie dürfen jetzt wählen.“
Eine Revolution braucht lange Jahre Vorarbeit. Das hier IST sie!
Und es ist gute Vorarbeit. Ich behaupte, es ist die sinnvollste und umfangreichste Social Media- Aktion, die ich je zum Thema mitbekommen habe. Und ich bin so alt wie das Frauenwahlrecht in Liechtenstein.
Ich habe in den letzten Tagen Dinge gelesen, wahre Begebenheiten, von denen ich mir des öfteren eine Pause nehmen musste. Weil sie nicht nur schmerzhaft zu lesen sind, sondern WAHR.
Von Männern, die jegliche Care-Arbeit ablehnen, über Erniedrigungen und Benachteiligungen im Job, (häusliche) Gewalt– psychisch, physisch und sexuell – und Dateerfahrungen aus der Hölle.
Viele von uns haben nicht nur eine, sondern gleich mehrere Geschichten zu erzählen.
Ich allein habe sechs gepostet.
Und das war eine scheiß Überwindung. Nicht nur für mich.
Aber es ist elementar wichtig, und wir sind so viele, dass es eben dieses Mal NICHT nur in der entsprechenden Bubble geblieben ist. Was es noch schwieriger macht, weil Horst- Dieter sich das gar nicht vorstellen kann, und Uwe-Klaus puren Männerhass wittert, anstatt eine minimale kognitive Anstrengung zu unternehmen, oder zumindest respektvoll die Fresse zu halten.
Und wenn ich noch ein Mal „Paulanergarten“ lese, starte ich eine Petition zur Einführung eines Internetführerscheins.
Meine Meinung über den Gegentrend, bei dem Männer sich unter dem umgedrehten Hashtag „meninfemalefields“ selbst bloßstellen, indem sie einer Vergewaltigungserfahrung gegenüberstellen, dass Gisela aus der 7b sie damals hat abblitzen lassen, lasse ich einfach gänzlich unkommentiert.
Ich möchte, dass ihr nachdenkt. Ihr alle, die ihr über den Trend schreibt.
Ob es sich lohnt, für Klicks und Stammtischparolen eine halbherzig durchdachte Kritik zu tippen, oder ob wir nicht alle davon profitieren könnten, wenn wir zusammenhalten, und herausarbeiten, wie bewundernswert mutig und schön und schmerzhaft und echt dieser Trend ist.
Damit wir uns vielleicht dann doch irgendwann hinstellen und laut „Revolution!“ brüllen können.
Und bitte nicht erst im Jahr 2084.
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